Samstag, 20. April 2013

Porzellan - Keramik - Meissen

von (c) Reinhard Heinrich

 200 Jahre nach Goethes Kritik 

Viele Porzellan- und Keramikgestalter von Meissen stehen historisch und künstlerisch auf den Schultern von Johann Joachim Kändler, Ludwig Richter und weiteren Gründervätern des weissen Goldes. Und sie lassen sich das auch anmerken. Aber sie haben wohl auch Goethe im Sinn, der im April 1813 die Manufaktur besuchte und urteilte: „Es ist eigen und beynah unglaublich, daß man wenig darin findet, was man in seiner Haushaltung besitzen möchte.“ Käme Goethe 200 Jahre später in diese heutige Ausstellung, er würde vermutlich so manches "in seiner Haushaltung besitzen" wollen. Denn das meiste ist "in der Haushaltung" brauchbar, weckt Sehnsucht. Aber das Stadtmuseum ist ja auch nicht die Manufaktur. Das Haus am Heinrichsplatz fängt eventuell ein paar der anfallenden "Späne" auf, wenn hinten im Triebischtal "gehobelt" wird. Gut so.

Professoren unter sich:
Kay Uwe Leonhard mit
Altmeister Heinz Werner
Manches, rein dekorativ, berührt einfach durch seine Schönheit und emotionale Tiefe, wie das "Liebespaar" (s. oben) von Anni Jung, das es auch auf den Ausstellungs-Flyer (Rückseite) geschafft hat. Kay "Leo" Leonhardt zeigt sich auch in Porzellan-Design als gelehrter Witzbold des Brauchbaren. Seine Kännchen und Tassen bringen uns zu besinnlich-sonntäglichem Lachen und laden doch zum fröhlichen Kaffe- und Teetrinken auch im Alltag ein. Völlig überrascht hat mich Hildegund Sell, von der ich - zugegeben immer nur zufällig - bisher überwiegend hintergründig-rustikale, erdverbundene Formen und Farben sah. Ihr Tafelgeschirr macht sie zwar bereits auf den zweiten Blick wieder-erkennbar, verblüfft aber eben doch.

Frech und witzig - und darin sehr exklusiv - die figürliche Kunst von Silvia Klöde, der man ihr urprünglich gelerntes Handwerk als Bossiererin deutlicher ansieht als die Diplom-Bildhauerei, mit der sie wohl 1983 vor allem das offizielle Eintritts-Billet in die "Abteilung künstlerische Entwicklung" der Manufaktur erwarb. Seit 2010 hat der Staatsbetrieb solche Fisimatenten nicht mehr nötig und die einstigen "künstlerischen Entwickler" stehen jetzt unmittelbar mit Unikaten dem Kunst-Markt zur Verfügung. Ist doch schön - oder?
Solche marktfähige Unmittelbarkeit und erwünschte Brauchbarkeit stand sicherlich auch bei Tina Hopperdietzels Stücken Pate. Als Porzellanmalerin (Aufglasur) gewachsen, findet sie Flächen für ihre unaufdringliche Kunst, wo andere einfach nur vorbei gehen - und wenn es "nur" ein Spiegel (Bild links) ist. Dass sie auch Seminare anbietet, sollte die Neugier feinsinniger Leute wecken.

Drollige "Würste" aus weissem Porzellan liegen zwar unter verschiedenen Namen in Vitrinen und hängen sogar von einer Stange herab. Es ist aber nicht anzunehmen, dass man bei Else Gold "Porzellan von der Stange" bekommt. Zu individuell sind diese Körperchen, die man berühren und behüten möchte. Teils fühlt man sich zwar freundlich veräppelt, teils sucht man nach einem Gesicht - vielleicht ist sogar hier und da eines vorhanden - aber noch schöner ist die Vorstellung, man könnte seinen irritiert dreinschauenden Sonntags-Besuch damit verblüffen.

An Hans Poelzigs Mosaikbrunnen (1922) im Grossen Garten zu Dresden musste ich angesichts der Exponate von Gudrun Gaube denken. Stimmung durch Farbwirkung zu erzeugen, ist nicht neu, hat sich aber auch hier wieder gelohnt. Selbst die leer gegessene Obstschale macht noch Appetit auf Birnen, gerne auch mit braunen Flecken - die sind besonders süss - finden auch die Wespen.

Nicht alle Werke und ihre Schöpfer kann der Besucher bei einem einzigen Rundgang würdigend erfassen. Auch die Ungenannten lohnen den Besuch des ehrwürdigen Hauses am Heinrichsplatz in Meissen mit Entdeckungen. Ein bisschen Zeit ist mitzubringen - und ein bisschen Lebens-Kunst-Erfahrung kann nicht schaden.

Diese Ausstellung spricht noch bis zum 26. Mai beredt von lebendiger Kunst, die an der Wiege Sachsens wuchs und in der Stadt Meissen von vielen mehr als anderswo professionell gepflegt wird. Wer die "Pfleger" sind, steht auch auf mancher Informationstafel - unten, bei den Auftraggebern und Kooperationspartnern, ohne die jegliche Kunst einfach die Triebisch herunter gespült würde. Wie man - nicht nur im Triebischtal - sehr gut weiss.



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