Montag, 25. April 2011

“Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein …”

Horst Schulze mit Goethes Faust (und etlichen anderen Rollen) in der Villa Teresa
von Reinhard Heinrich

H. Schulze am Kamin, Foto: Börse
Oben angedeutete Worte spricht Faust, nachdem das Volk ihm beim Osterspaziergang zugejubelt und für Heilung einer Epidemie gedankt hat. Mit Selbstzweifel und Selbstkritik bedauert er sein begrenztes Wissen und erklärt den Wunsch nach mehr Erkenntnis.

Wenigstens drei Arten Textstellen kann man in Goethes Faust I. ausmachen, wenn man sich eine Rezitation vorstellt. Das sind erstens die bekannten und beliebten, wie Osterspaziergang und Studierzimmer, zweitens die unbekannten, aber beliebten - man zitiert sie gerne, weiß aber gar nicht mehr, dass sie aus dem Faust sind - und drittens die interessanten doch weithin unbekannten, wie die Gespräche rund um Frau Marthe beim Umgarnen des Gretchens durch Faust und Mephisto - und gerade auch die sind ein köstlicher Genuss in Schulzes Vortrag.

Horst Schulze destillierte - am Karfreitag 2011 in der Coswiger Villa Teresa - mit Faust’scher Akribie just jene Szenen heraus, die ihm nach einem langen Berufsleben auf der Bühne wichtig sind - für uns. Das war nicht selbstgefällig oder rein ästhetisch ausgewählt. Das waren die Erfahrungen von zwei Leben: Goethes und Schulzes.

Denn natürlich weiss der Schauspieler Schulze, dass Goethes Faust mehr Lesedrama als Schauspiel ist, dass der Witz mehr im Text steckt als im Spiel, auch wenn Mephisto gelegentlich “eine unzüchtige Gebärde” macht, wie Theatermann Goethe vorschreibt.

Horst Schulze in der Börse
Foto: Börse Coswig
Theatermann Schulze ging zu Recht davon aus: “Wer zu mir kommt, dem muss man den Faust nicht groß erklären.” Und er wusste wohl auch, wer hier in die Villa Teresa kommt. Seinem Publikum lange vertraut, von Bühne, Bildschirm, Leinwand, Oper und Staatstheater Dresden - als Karl Liebknecht, Baron Instetten und Prof. Higgins muss er hier nicht mehr vorgestellt werden. Horst Schulze hat hier bei uns regelrechte Wurzeln. Als mit der Komödie Dresden das größte Privattheater Sachsens 1996 durch Jürgen Wölffer eröffnet wurde, war Horst Schulze selbstverständlich dabei. Und bei der Verabschiedung des vorigen “Generalintendanten” Schmidt von der Coswiger Börse an das Goethe-Theater Bad Lauchstädt stand der Mime Schulze mit unter den Dank sagenden - für ein reiches Kulturleben in Coswig - wozu die auf der Bühne genau so gehören, wie die im Saal.

Dass man den Rezitator gerade zum Osterfest verpflichten konnte, das den hoffnungslos gewordenen Dr. Faust “zurück ins Leben ruft” mit den Worten: “O tönet fort, ihr süßen Himmelslieder, die Träne quillt, die Erde hat mich wieder.” - spricht für eine beiderseitig enge Verbundenheit zwischen Künstler und Publikum - und ist würdig und recht. Und das Publikum im restlos ausverkauften Saal dankte Horst Schulze sein Kommen und seinen Vortrag am Schluss mit stehendem Beifall - vier Tage vor seinem 90. Geburtstag am 26. April - zu dem wir ihm Gesundheit wünschen. Und alles Gute!

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